Ralf-Peter Stumme besitzt 120 antike Boote
Mülheim ohne Ruhr? So unvorstellbar wie Hamburg ohne Hafen. Unsere Postkartenidylle am Fluss lockt bei jedem Wetter zahlreiche Radler, Jogger sowie Flaneure an die frische Luft. Und vielen Bürgern ist der Sonntagsspaziergang am Ufer zu allen Jahreszeiten ein unverzichtbares Ritual. Doch bei all der herrlichen Natur – so richtig komplett wird das Bild erst, wenn neben Enten, Schwänen, Blesshühnern und Haubentauchern noch ein paar Ruderboote durchs Wasser gleiten. Warum auch immer – es hat etwas beglückend Charmantes und gehört einfach dazu. Auch in den städtischen Gymnasien hat das Rudern seit über 100 Jahren Tradition. Kaum ein Pennäler, der nicht mal unterrichtshalber im Einer, Zweier oder Vierer mit Steuermann gesessen hätte. Viele geben die wackelige Angelegenheit anschließend gerne dran, manche machen daraus ein Hobby und für ganz wenige wird der Sport zum selbsterklärten Spleen. Wie im Falle von Ralf-Peter Stumme – Sammler und Restaurator historischer Ruderboote aus Leidenschaft. Die Jahrbuchredaktion hat das Mülheimer Original und Gründungsmitglied des Classic Boat Clubs für Sie besucht.
Vom Wrack zum Juwel
28.04.2011. Der studierte Ethnologe und gewerbliche Bootshändler empfängt uns in seiner Werkstatt am Wassersportverein Mülheim. Er trägt seine Arbeitskluft: Turnschuhe, Jogginghose und T-shirt. Die lockige Mähne hat er lässig mit einem Zopf gebändigt. „Auch wenn es nicht so aussieht, das ist schon richtig aufgeräumt“, grinst er verschmitzt. Tja, wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und hier sieht es nach einer Menge Arbeit aus. Stummes Geschäfte laufen gut und seine Kunden – darunter viele Vereine – kommen aus ganz Deutschland um Boote bauen oder überholen zu lassen. In ihm finden sie einen seltenen Experten, nicht nur in Sachen modernster Ruderboote aus Kunststoff, sondern gerade auch, wenn es um neue und alte Schätzchen aus reinem Holz geht.
Alles begann 1978. Gerade 14 stieß Ralf-Peter zur Ruderriege des Otto-Pankok-Gymnasiums „Ich hatte schon immer schon einen Drang zum Wasser und mit dem Rudern war es Liebe auf den ersten Blick.“ Er trat seinem Verein bei und war mehr und mehr nicht nur vom Sport, sondern auch vom Sportgerät fasziniert. Der Ästhetik, Konstruktion und Geschichte. „Die Sammlerei hat erst ganz harmlos angefangen. Mit einem alten Doppelzweier, so kurz nach dem Abi.“ Und wenig später stolperte er am Bodensee dann über zwei Wracks, die er unbedingt kaufen und wieder flott machen musste. „Die Instandhaltung von Holzruderbooten ist vielen Eignern einfach zu aufwändig und zu teuer.“ Mittlerweile besitzt er selbst etwa 120 historische Wander- und Rennboote und weiß kaum noch wohin damit. „Zurzeit habe ich sie in einem Schulkeller und in einer großen Scheune am Dümmer See geparkt.“ Das soll sich ändern, wie wir noch erfahren werden.
Das Unikum mit Unikaten?
Stummes außergewöhnlichste Juwelen: Ein schwalben-förmigen Dollen-Renn-Einer ohne Ausleger von 1985 und das wahrscheinlich weltweit einzige Thames Gig von ca. 1890. „Das war damals schon obsolet“, erklärt er uns mit leuchtenden Augen und klingt für eine Sekunde wie ein verschrobener Professor. Die meisten seiner handgemachten Unikate stammen aus England, wo das Rudern anders als in Good Old Germany überhaupt nicht elitär daherkam. Im Gegenteil. Spätestens mit der Veröffentlichung von Jeromes Erzählung „Three Men in a Boat“ erfuhr die Leibesübung zu Wasser einen enormen Boom und avancierte zum beliebten Ausflugsvergnügen der Unter- und Mittelklasse. So waren allein auf der Themse um 1900 zahllose Bootsverleihe und etwa 10.000 einschlägige Kähne registriert. Eine solche Popularität gewann der Sport in Deutschland bis heute nicht. „Aktuell gibt es In Mülheim vielleicht gerade mal 700 Aktive. Gepaddelt wird deutlich mehr.“
Entsprechend ist auch die Szene der Bootssammler hierzulande klein. Vielleicht 5 bis 10 Kollektoren – mehr werden es nicht sein. In Großbritannien hingegen hat die ausgefallene Passion mehr Anhänger. Nicht zuletzt deshalb ist Ralf-Peter dort Mitglied der Thames Traditional Boat Society. Das passt auch prima zu seiner sympathischen Portion Selbstironie. Die ist ohnehin very british. Im Grunde kann er ja auch nichts dafür, dass seine Sammlung ständig wächst. Ab und an schellt einfach das Telefon und ein Vereinskollege von der Insel meldet sich: Hey, I´ve got a boat for you. „Und dann rette ich sie oft vor der Säge“, berichtet er schmunzelnd. Manchmal kostet ihn der Spaß mehrere tausend Euro. Und weil sich der Verkauf restaurierter Boote nun nicht wirklich lohnt, behält er sie am liebsten selbst. „Material, Transport und die ganze Handarbeit – das will keiner bezahlen.“ Traurig scheint er darüber nicht zu sein.
Ein Denkmal im Fluss ?
Mit dem Classic Boat Club plant er stattdessen, seine Boote, jene anderer Mitglieder und vielleicht auch die 1500 Titel umfassende „Ruder-Bibliothek“ eines Vereinskollegen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vorzugsweise in Mülheim, falls sich geeignete Räumlichkeiten für ein Museum direkt an der Ruhr finden. Die Suche gestaltete sich bislang jedoch schwierig. Unabhängig davon will man nach und nach auch sämtliche Boote des Clubs katalogisieren und das Ganze als bewegliches Denkmal eintragen lassen. „Sicher, das ist schon ein Spleen“, gibt er amüsiert zu, „aber auch eine Aufgabe. Sonst macht das ja keiner. Und dann ginge einfach ein Stück Technik- und Sozialgeschichte verloren.“ Was sagt denn die Familie zu einem so zeitraubenden Engagement? „Ach, meine vier Kinder lernen natürlich alle rudern und meine Frau ist sehr tolerant.“ Aber das ist Ralf-Peter wohl auch. „Sie hat mal eines meiner Lieblingsboote auf eine Sandbank gesetzt“, erinnert er sich lachend auf die Frage nach Anekdötchen. Trotzdem seien sie noch verheiratet. Und so haben die Stummes ihre letzten Sommerferien vollzählig auf der Elbe verbracht. An Bord – versteht sich.
Zum sportlichen Rudern kommt der vielbeschäftigte Unternehmer jedoch nur noch selten. Gelegentlich mal ein Marathon, aber ohne ernsthaften Leistungsanspruch. Schade eigentlich, oder? Ja, das findet Ralf Peter auch. Hin und wieder gönnt er sich natürlich mit Freunden einige Schläge in einem frisch restaurierten Boot und genießt die vertraute Landschaft und Atmosphäre seiner Mülheimer Hausstrecke. „Spaziergänger“, erzählt er begeistert, „fragen uns dann häufig: Was ist das denn für ein tolles Boot? Von anderen Ruderern werden wir allerdings schon mal belächelt. Dabei fahren Boote aus den 20ern oft schneller als die neusten Modelle. Und das obwohl früher nur nach Augenmaß gefertigt wurde.“ Aber was soll´s? Ralf-Peter Stumme nimmt´s gelassen. Auch Ruderer sind eben nicht alle auf der gleichen Wellenlänge. Das kann doch einen Flussmann nicht erschüttern.
Übrigens: Der Classic Boat Club wurde 2004 als überregionaler Verein mit Sitz in Mülheim gegründet. Sein Ziel ist die Erhaltung und Infahrthaltung antiker Wasserfahrzeuge – insbesondere der von Sportruderbooten. Darüber hinaus widmet sich die Gemeinschaft auch der Technik- und Sozialgeschichte des Ruderns. Außerdem pflegt man gesellige Aktivitäten wie den Besuch historischer Ruderboot-Events in Großbritannien. 2010 organisierte der Verein im Ruhrgebiet das 1. Classic Boat Festival Deutschlands. Zurzeit verfügt der Club über 3 Sammlungen und mehr als 30 Mitglieder. Weitere Infos unter www.classic-boat-club.de